Kochen bei Starkwind.

Dramolette von Annette Leßmöllmann

Afrika

Woran erkennt man, dass man in Afrika ist?

Die Ibisse schreien. Ein Mausvogel turnt im Gebüsch. Der Wind fährt in die Zweige des Baums – bei uns wäre das ein Gewittervorbote, hier ist es dieser spezielle, heiße und feuchte, starke Wind, gleichzeitig Wüsten- und Meeresbrise, der nur selten unverhofft einschläft. Dann regnet es. Manchmal ist es aber auch die Affenhorde, die in den Baum einfährt: schaukeln, Äste schütteln, Blätter mampfen und sich dann ganz plötzlich zu einem dieser Ausfälle verabreden, bei denen sie auf die nach außen gekippten Fenster des Hauses springen, schreien, ans Fenster trommeln und schauen, was passiert. (Irgendein Hausinsasse wird zu ihrem Gaudium schon die Nerven verlieren, schreien, ans Fenster trommeln und auch schauen, was passiert. Meistens nichts, manchmal Rückzug, begleitet mit Keckern: Wir kommen wieder, lieber, weißer, eingewanderter Freund!) Afrika ist auch immer ein bisschen die Umkehrung der Zooverhältnisse, denn eigentlich beobachten die Affen uns, wie wir in unserem Käfig sitzen (die Fenster haben Drahgitter, wegen der Affen. Denn ruckzuck ist sonst der Affe drin und das Handy auf dem Dach.)

Afrika ist, auch wenn das ein Klischee ist: Man geht langsam und kommt doch an. Man arbeitet zwei Stunden und kriegt so viel geschafft wie sonst in vier.

Bahn

Drei mal hintereinander ist die Bahn pünktlich, und das ist so überraschend, dass es notiert werden muss. Bei der Gelegenheit überfällt mich eine Assoziation: Tankstellen leben ja auch nicht mehr davon, dass sie Benzin verkaufen. Lebt die Bahn halt davon, dass sie Kaffee verkauft. Denn egal, wie unpünktlich eine Bahn ist – der Kaffeemann kommt immer vorbei. Und dann noch der Brezelmann. Und dann nochmal der Kaffeemann. Und dann kommt die Eisfrau. Ich würde sagen, die früheren Mobilitätsermöglicher ernähren ab sofort die Bevölkerung, die nicht mehr in den Supermarkt geht, wie früher, sondern das Essen und Trinken in Tankstellen und Bahnen erledigt. Das mit der Mobilität, naja, das läuft halt irgendwie. Nebenher.

Oder man erinnert sich daran, dass ein Durch-und-durch-Staatsbetrieb besser war in Sachen Mobilität. Es gab zwar früher weniger Kaffee in der Bahn, aber nun.

Wurst

(Freund macht nach, wie es klingen würde, wenn Bruno Ganz im Hitler-Untergang-Rollenmodus bei Curry36 am Mehringdamm eine Wurst bestellen würde. ‚Ich bestelle hierrrrrrrrrrrr! Eine Wurrrrrrrrrrst!‘ Darauf ich dann so – Lachanfall, gargantuesk. Und dass alles nur, weil Bruno Ganz bei Curry36 am Mehringdamm tatsächlich eine Wurst bestellt hat. Bruno Ganz bestellt eine Wurst und geht mit mir essen. So in etwa.)

Ich arbeite jetzt weiter, sonst erzähle ich noch mehr Unsinn.

Baumhaus

Jahrelang habe ich mir ein Baumhaus gewünscht. Inzwischen wende ich die Weisheitstechnik an, die das Alter (haha) mit sich bringt: Umkonzeptualisieren. Ich erkläre einfach unsere Wohnung zum Baumhaus. Das erhöht die Lebensfreude und erspart mir gleichzeitig zusätzliche Arbeit. Und es ist ganz einfach. Unsere Wohnung liegt ganz oben und hat, stadtuntypisch, viele Himmelsansichten. Jedes Zimmer bietet also mindestens ein Plätzchen, um stundenlang Wolken anzustarren. Das ist ja die Idee des Baumhauses: Rückzug, Stille, Wolken anstarren. Muße. Das geht bei uns. Man kann auch Wetterphänomene beobachten: Im Nordfenster noch blauer Himmel, vom Westen dagegen Gewitter-Weltuntergang. Sehr aufregend. (Macht man so gut wie nie, weil man die Zeit nicht hat, aber Baumhäuser würden ja auch so gut wie nie benutzt, weil man die Zeit nicht hat – also, echte Baumhausqualität, unsere Wohnung.) Aber sie hat noch mehr: Ohne Aufzug in den vierten Stock kraxeln – entspricht ungefähr der Freude, die man auf einer wackligen Leiter zum Baumhaus empfinden dürfte. Die Klapptreppe zum Dachboden hat auch Baumhausqualitäten. Knarz, knarz, und wenn man nicht aufpasst, segelt man nach unten. Zudem kann man in Baumhäusern auf Haustiere verzichten, auch wenn man gerne welche hätte, denn man lebt ja mit Krähen, Mauerseglern und Halsbandsittichen (die sich in der Rheinebene sehr wohl fühlen) Aug in Aug. Krähen dabei zuschauen, wie sie uns zur Freude Frolics von Nachbars Balkon klauen oder die von uns ausgebrachten Walnüsse abholen und mit Schwung von Dachfirsthöhe auf die Straße werfen, um sie zu knacken: Umbezahlbar. Auch andere Aspekte unserer Wohnung kommen eher aus der Baumhaussphäre als aus den heute üblichen Wohngegebenheiten: Sehr einfache Bäder, keine vernünftige Wärmedämmung, uralte Waschmaschinen-Wasserablauf-Konstruktion. In den 1950ern hip, heute eher romantischer Baumhausstandard. (Aber immerhin haben wir eine Toilette. Sogar zwei. Luxusbaumhaus. Kann sich niemand beschweren.) So muss man das sehen. Höchste Zeit, die Hängematte aufzuriggen und darauf zu warten, dass der Turmfalke sich mal wieder zeigt, oder das Taubenschwänzchen zum Nektarsaugen vorbeischaut.

Gefunden, nicht gesucht

Wenn irgendwann alles digital sein wird, werde ich eine Sache ganz bestimmt sehr vermissen: Das Zeitungsfundstück im Zug. Es erzeugt ein ganz anderes Gefühl, als wenn man, sagen wir, ein herrenloses iPad finden würde. Letzeres würde hauptsächlich Ratlosigkeit hervorrufen – was mache ich jetzt damit, naja, gebe ich’s halt beim Schaffner ab; mitnehmen würde ja doch nur unnötige Schuldgefühle erzeugen, und wer braucht schon ein fremdes iPad. Fazit: Ein herrenloses iPad kostet uns irgendwie Zeit und Nerv.

Eine herrenlose Zeitung nicht. Sie ist ein Schatz, der mir entgegenlacht. Ich brauche nur zuzugreifen. Niemand wird sie vermissen. Sie liegt da, weil sie ausgelesen ist. Wann ist ein Internet schon ausgelesen? Nie. Zeitungen aber, die haben ein natürliches Nutzungsende, sie werden irgendwann weggeworfen, der Besitzer ist an einem bestimmten Punkt fertig mit ihnen, so fertig, dass er sogar zu faul ist, sie zum Papierkorb zu bringen. Er lässt sie liegen. Denkt sich diese Handlung noch ein bisschen schön, „könnte ja noch wer lesen“. Er teilt sie mit dem möglichen Nachbesitzer. Share mode. Teilungskapitalismus. Die weggelegte Zeitung befördert ein wenig das potentielle Miteinander von Lesern.  Die Handlung: Aufstehen, ohne seine Müll wegzutragen. Teilen, allerdings ohne einen Klick. Sondern durch simples Hinschmeißen oder „Übersehen“.

Ich finde diese Vorstellung schön, dass das Sharing eine ganz alte Kulturtechnik ist: Auch Zeitungsausschnitte-Verschicken gehört ja dazu. Noch heute blättere ich gerne durch die Schnipsel, die mein Großvater gesammelt hat. Hat er sie an weitergereicht, dann hat er sie manchmal mit seiner Unterschrift verziert. Er hat auch Bücher mit Zeitungsausschnitten angelegt, Sätze unterstrichen und seine Gedanken dazu notiert. Er hat mit seiner Zeitung gearbeitet, darüber gesprochen, sie weitergereicht. Und wahrscheinlich hätte er seine Zeitung nie im Zug liegen gelassen, wenn er Zug gefahren wäre, denn meine Großmutter hätte sie aufgehoben, „Hugo!“ gesagt, ein Schnütchen gemacht und sie in ihre Tasche gestopft. Aber ich sehe das nicht so streng wie meine Großmutter, ich finde Zeitung-im-Zug-Teilen großartig. Denn es sind häufig Zeitungen, die man sonst nie liest: Regional- und Lokalzeitungen aus Gegenden, in denen man noch nie war und von denen man sich ein ganz eigenartiges Bild macht, wenn man sie nur über ihre Zeitungen kennenlernt. Anzeigenblätter. BILD. Ich liebe es. Ich tauche in eine andere Welt ein, lerne die Unterschiede zwischen BILD Berlin und BILD Sachsen oder sonstwo kennen (man sieht dann, was die regionalen BILD-Redakteure von ihren jeweiligen Lesern halten), surfe lesend durch die Lokalwelt des Hintertupfinger Anzeigers oder des Bei-den-sieben-Zwergen-Boten und erkenne, wo noch Journalisten leben („Behinderteneinrichtung kämpft ums Überlegen! Soll einem Shoppingcenter weichen! Was tut die Regierung?“) oder die Regionalzeitungs-Gehirnwäche waltet und entweder gekauftes Zeug steht („Kleingärtner freuen sich über Riesenloch im Garten/Unbeaufsichtigter Bergwerkstollen endlich eingestürzt/“Die paar Toten machen uns gar nichts aus“, solches Zeug) oder der übliche Bratwurstjournalismus, der den Leuten durch das Vorbeten des Immer-Gleichen vorgaukelt, es sei alles in Ordnung. Im Lokalen und Regionalen ist aber eben nicht immer alles in Ordnung: Korruption in Schulbehörden, Verfall der Infrastruktur, explodierende Energiepreise etc. etc., im Lokalen gibt es genug zu berichten, denn da wird entschieden, wie die Menschen leben. Manche Zeitung schafft das noch. Ich sitze dann im Zug und freue mich: Da kämpft noch jemand, hinter den sieben Bergen, für eine gute Sache oder gegen eine schlechte, da recherchiert noch wer, da gibt es Ortstermine, da wird hingeschaut. Mich freut das. Nichts gegen ein gefundenes iPad im Zug, aber eine gefundene Zeitung – es gibt kaum was Besseres.

Willkommen an Land.

Ende der Segelsaison für mich. Auf dem Weg nach Hause, im Schleswig-Holstein-Express von Flensburg Richtung Hamburg, zehn Uhr morgens. Nachbarabteil mit HSV-Fahne drapiert. Zug fährt los. Durch die Abteilwand dringt der klassische Dialog des Mannes mit seiner Bierflasche:

– „Geht los, Leude“.

– „Fump“.

 

Die Ostsee beißt nicht.

Als wäre nichts, aber auch gar nichts gewesen die vergangenen zwei Wochen: Heute Flaute, kein Wölkchen, der romantische Ankerplatz mit nur uns drin in der Morgensonne. Am Ausgang der Dyvig Wik dann: vier Schweinswale, schwimmen vor unserem Boot her, tummeln sich, bleiben sogar länger an der Oberfläche, als genössen sie das ruhige Wasser ebenso wie wir. Wir kommen aus dem Neidbilder-Filmen nicht mehr heraus. Dann entspannt den Augustenborg-Fjord hinab und in den Alssund hinein, für Nicht-Segler: Traumrevier mit 100 Glotz-Punkten, was romantische Buchten, hübsche Landsitze und verschwiegene Wäldchen anbelangt, im südlichen Dänemark. In Sonderborg wird vor unserer Nase die Brücke aufgemacht, auch das ist eher ungewöhnlich, sonst hängt man da schon mal ein Stündchen herum, bevor der Zugbrückenwärter sich bequemt. Es ist unser Glückstag. Dann in die Flensburger Förde: ein (übrigens mal genau so angesagter) netter 4-Beaufort-Wind weht; ist doch toll, wenn nach drei Wochen der Wetterbericht mal wieder stimmt. An der ersten Tonne in das eigentliche Fördern-Fahrwasser hinein: Ein Schweinswal, der keck hinter uns her und dann unter uns durch schwimmt. Das Wasser so klar, dass man ihn in voller Pracht bewundern kann. Weiter im Schmetterlingskurs, ein Segel rechts, ein Segel linkst, die automatische Steuerung surrt, wir genießen die Aussicht, das Boot fährt wie eine Eins.

Im letzten Knick vor Flensburg dann wieder ein Schweinswal. Kursänderung, weiter Sonne, weiter stetiger Wind. Wir können, unfassbar, bis kurz vorm Hafen segeln, begleitet von einigen Traditionsschiffen und einem „12er“, einer dieser flachen schnittigen Traumyachten, 100 Jahre alter Riss, die durchs Wasser ziehen wie an einer Schnur gezogen.

Direkt vor der Hafenienfahrt, was soll ich sagen – wieder ein Schweinswal. Als wäre nichts gewesen, als hätte es uns in den vergangenen Wochen nicht fast das Boot zerrissen in der hackigen Ostseewelle, als hätten wir nicht umgeben von Bootsbesitzern, die ihre Schiffchen reparieren, sorgenvoll im Hafen gelegen und auf Wetterberichte gestarrt, die dann doch nicht stimmten. Hachja, die Schweinswale, die drehen uns eine Nase und sagen, was begebt ihr euch auch in unser Revier mit euren Plastikbüchsen, werdet Wale, dann macht euch das nichts aus.

Digitalsegeln

Früher ging Segeln so: An Bord gehen und alle bekannten Kommunikationsmittel über Bord werfen vergessen. Außer einem: dem Radio. Um den Wetterbericht zu hören. Schön über Deutschlandfunk, Langwelle, und entweder man hatte guten Empfang, oder man hatte keinen, und wenn man keinen hatte, dann ging man bedeutungsschwanger durch den Hafen, leicht gebeugt, Hände auf dem Rücken, traf andere, die auch keinen Empfang hatten, und erarbeitete sich kommunikativ die möglichen Wetteraussichten.

Fernseher, Mobiltelefon (was ist das?), Internet (hä?) – dieses ganze Zeug gab es nicht, und wenn, dann schon gar nicht an Bord. Was es dagegen gab, war die gute alte Funke. Man tauchte also in eine irgendwie antike Art des Kommunizierens ein („Knopf drücken am Hörer, sonst bist du nicht auf Sendung! Jetzt loslassen!“). Die musste man auch benutzen, wenn was Dringendes mit den Leuten an Land zu besprechen war. Also nie, denn es gab nichts Dringendes zu besprechen.

Den lieben Daheimgebliebenen war vorher eingeschärft worden: Ihr könnt uns über die „Nachrichten für Seefahrer“ eine Nachricht hinterlassen. Das wird dann über Funk an uns gesendet. DAS HÖREN DANN ALLE! Also lasst es. Wenn es also auf der Benachrichtigungsliste hieß, Segelyacht „Flause“ Delta Foxtrott sieben drei sieben drei soll mal bitte daundda anrufen, dann war mindestens einer gestorben, und man steuerte rasch den nächsten Hafen an, um mit einem Münztelefon (die Älteren unter uns werden sich erinnern) anzufen. Und entweder, es war einer gestorben, oder man erfuhr, dass Oma nur mal hören wollte, wie es so geht und ob auch alle warme Unterwäsche tragen, denn der Wetterbericht habe ja was von Sturm gesagt…., und es eigentlich es ganz aufregend fand, dass nun alle Segler im Sendebereich wissen, dass Oma eine Nachricht für die Crew der „Flause“ hat. Darauf einen Dujardin. Denn das war die Ausnahme.

Segeln war Kommunikationsfreiheit. Im Sinne von „Freiheit von Kommunikation“. Und: Freiheit von Technikgedöns, das an die Arbeit erinnert. Es gab natürlich Technik ohne Ende, gibt es immer noch, aber das ist segelspezifische Technik. Seetechnik. Segeln, das war Landtechnikgedöns hinter sich lassen. Nur Schraubenzieher waren erlaubt.

Heute, haha, ja, da hat uns die „wir machen alles im Internet“-Kultur eingeholt, und das heißt ja immer: Wir sind so blöd und machen alles selbst.

Wetterbericht im Radio gibt es nicht mehr. Kann man ja im Internet bekommen. Toll. Das heißt halt nur, dass man selbst dafür sorgen muss, dass das Internet auch funktioniert. Und alle, die mir erzählen, dass das ja nun kein Thema sei, denen sage ich: Quatsch. Dazu gehört nämlich, immer für Strom sorgen. Hürde Nummer eins, an Bord nicht ganz trivial, gerade die Geräte mit dem Apfel drauf zicken mächtig herum, wenn man sie über einen 12-V-Anschluss meint aufladen zu wollen. Also, Landstrom vorhalten, oder Motor an. Beschaulich vor Anker liegen geht anders. Das nur nebenbei. Zweitens: Prepaidkarte muss funktionieren. Diesmal zickt der Androide rum und verweigert sowohl die dänische als auch die schwedische Variante. Scheint auf deutsche Karten geeicht zu sein. Also sitzt man zwei Stunden und recherchiert mit dem Internet, das glücklicherweise zufällig am Nachbarboot vorhanden ist, woran es liegen kann, dass bei uns die Prepaidkarte nicht akzeptiert wird.

Naja, undsoweiter. Man beschäftigt sich halt damit. Es soll Leute geben, denen das Spaß macht. Mir nicht. Ich will doch nur segeln. Statt dessen wird mir klar: Geräte laden und mit Netzanschluss herumhexen wird ab sofort zu den Bordroutinen gehören. Und das schmeckt mir nicht. Noch etwas, um das ich mich selbst kümmern muss. Ich muss doch schon Pfandflaschen mit der richtigen Seite nach oben in einen stinkenden Pfandflaschenautomaten stecken  und mir von dem Aufkleber auf der Maschine sagen lassen, dass es dadurch schneller ginge. Man zwingt mich also zum Arbeiten und macht mir auch noch Zeitdruck. Frechheit. Da will ich doch im Urlaub mal meine Ruhe von haben… aber nein. Noch gibt es freundliche Hafenmeister, die drucken ein bisschen Wetterbericht aus und hängen es im Hafenbüro aus, aber das ist lückenhaft, enthält die Großwetterlage nicht, etc. pp.

Also geht Segeln heute so: Man reserviert mindestens einen Tag, auch nee, besser zwei, um in jedem Land, in das man reist (Ostseesegler: also Dänemark und Schweden, mindestens) Mitarbeiter von Kommunikationsshops in die Verzweiflung zu treiben mit dem naiven Ansinnen, eine Prepaidkarte zum Laufen zu bringen. Das geht dann entweder gar nicht, oder nur in einem der fünf verschiedenen Kommunikationsgeräte, die man vorsorglich mitgeschleppt hat (nebenbei: Man schleppt also alle Laptops und Tablets, die man so hat, in den Urlaub mit, und damit auch potentiell seine ganze Arbeit, ist doch klar, außer, man kauft sich ein extra Segel-Tablet, ich bin fast so weit, ein bisschen Selbstbetrug muss sein).

Natürlich kann man auch das WLAN im Hafen nutzen. Aber nicht jeder Hafen hat ein gutes WLAN. Sprich, im Logbuch (das wir antikerweise noch auf Papier führen, auch das wird bald in die Cloud verlagert, ist doch auch schon wurscht) wird neben allem Wichtigen und Pittoresken auch stehen: Dieser Hafen hat ordentliches WLAN, oder nicht, oder nur zeitweilig, und wenn, dann wann, und auf welchen Hafenplätzen, ach, verdammt, ist das ein langweiliges Thema.

Naja, undsoweiter. Aber es ist schon bemerkenswert: Wie man sich so ohne Weiteres alles Mögliche aufhalsen lässt, das früher freundliche Menschen getan haben, die dafür bezahlt wurden. Die haben dann den Wetterbericht vorgelesen, dafür gesorgt, dass das Sendesignal ausreichend ist, zuverlässige Geräte namens Funke und Weltempfänger gebaut, die man einmal an Bord tat, und dann funktionierten sie mindestens 20 Jahre, Knopf an, Stimme kommt raus, so einfach ist das, usw. usw. Heute kümmere ich mich um diesen Quatsch selbst.

Ach ja, das Hafengeld zahlt man heutzutage auch nicht mehr bei dem netten Hafenmeister mit dem dicken Bauch und der speckigen Geldschatulle vor demselben, sondern natürlich am Automaten. Tipp: Immer gleich mehrere Kreditkarten mitnehmen, eine davon wird bestimmt akzeptiert. Manchmal auch nicht. Ein paarmal zwischen Boot und Automat hin und herrennen, um alle Kreditkarten an Bord auszuprobieren, ist übrigens ziemlich gut für den Teint. Dafür wird dann an dem Automaten für Duschkarten vielleicht eine andere Kreditkarte akzeptiert, die man gerade nicht dabei hat, weil…. Egal. Vielleicht geht das nächstens auch mit Internet, und wenn das Internet dann mal nicht geht, dann schmeißen wir einfach alles über Bord, ankern, orientieren uns an den Wolken und machen uns unseren eigenen Wetterbericht. Ahoi!

 

 

 

 

Die Maus.

Wir kauern auf einem Wellenbrecher am Hafen von Grenaa, das ist so ein dänisches Fährstädtchen an der Ostküste Jütlands, gleich hinter der nächsten Düne links sozusagen, von Seglern gemiedern, weil es da immer nach irgendetwas Undefinierbarem stinkt, aber was will man machen – der Wind hat’s entschieden, wir landeten in Grenaa, und nun kauern wir nachts auf dem Wellenbrecher.

Warum? Weil irgenein Idiot (ich) meinte, seine ipad-Apps aktualisieren zu müssen, dabei die Sterngucker-App geladen hat, die man mal dem Patensohn verpasst hatte, die App geöffnet und auf den Himmel gehalten hat, und was war zu sehen? Mars und Saturn direkt übereinander! Eine Sensation.

Das wiederum ließ den mitreisenden Ehemann tarantelgestochengleich in Jacke und Ölhose fahren, Spektiv schnappen, zwei Gläser Rotwein als Lockmittel dazu (wie hat er das alles transportiert?) und säuselnd fragen: Kommst du mi-hit? Ist Sternenhimmel draußen!

Na gut. Der Wellenbrecher wird gewählt, weil auf ihm eine Wand steht, und die hält den schneidend kalten Wind ab. Wir kauern also in Lee und flößen uns Rotwein ein. Bitte, es ist August. Perfekt für so einen Wintertörn mit langen Unterhosen und allem Drum und Dran. Noch vor wenigen Tagen war ja jeden Tag Baden angesagt, damit man ja keinen Hitzestau kriegt. Jetzt: Schniefnase, Heizung an, drei Schlafsäcke, und bloß drinnen bleiben, vor allem nachts!

Aber nein. Hinter der Wand kauern wir, über uns saust wieder so ein Wind, viel zu stark zum Segeln, wir bleiben an Land, wir sind ja Naturforscher, und wir nippen Rotwein, und wenn es die alten Knochen zulassen, beugen wir uns übers Spektiv und schwelgen in der Milchstraße.

Da. Es raschelt. DA RASCHELT WAS! Zu unseren Füßen. Es kurpselt. Es ratscht. Eindeutig. Krabbenschale über Stein. Knurpselknurpsel. Die Krabbe frisst was. Sie kommt zu uns, sie will uns fressen! Ein riesiges Untertier wird das sein, oh Gott, schnell noch einen Schluck Rotwein…

Aber wir sind ja Naturforscher. Die schreckt so schnell nix. Wir haben Stirnlampen. Die machen wir an. In Rotlicht. Da sitzt sie. Die Maus. Und nagt an einem Krabbenpanzer, fast so groß wie sie. Knurpsel! Das Rotlicht stört sie nicht. Selbst, als wir – 1, 2, auf 3! – das Licht auf Weiß stellen und in dem Moment auf den Auslöser der ipad-Kamera drücken, juckt sie das überhaupt nicht. Licht, pah. Bipeden, die reden, pah. Ick ess hier meinen Krebs, und jut ist! Irgendwann zerrt sie die Krabbe rücklings und verschwindet, so sieht es fast aus, im schwarzen Meer, das da unten an den den Steinen leckt. Wir trinken noch ein bisschen. Auf die Maus. Das ipad zeigt einen kleinen Klumpen mit Mauseschwanz. Super lichtstark, haha. Aber Saturn und Mars übereinander, das kann das ipad gut.

Göteborg.

In Schweden sprechen alle fließend British English, jedenfalls alle, denen wir begegnen – die Supermarktkassiererin, der tapfere Mann im Internetladen, der sich um unsere Prepaidkarten-Tablet-Inkompatibilitätsproblemchen kümmert („I also learnt German – do you know Husum? Been there!“), die Frau mit den Cinnamon Rolls und dem Kaffee, die Frau an der Museumskasse, ach, irgendwie doch alle. Erstaunlich, was man mit einem vernünftigen Bildungssystem so alles anrichten kann, liebe Damen und Herren Bildungspolitiker.

Auch der Mann an der Bushaltestelle spricht fließend British English. Aber erst spricht er Schwedisch. Er trägt bunte Sachen, die irgendwie an einen Golfdress erinnern, ist gekämmt und gestriegelt und erzählt uns erst was. „Sorry, we don’t speak Swedish“. Daraufhin perlt das British English aus ihm heraus: Er habe da so ein paar Kronen, Umrechnungskurs Dollar-Kronen steht so und so, er habe also soundso viel Dollar, eigentlich, ob wir ihm damit helfen können.

Wir erst mal auf dem Schlauch und so. Helfen?

Er seufzt. „I BEG you to give me some crowns“.

Ach so. Schnell im Kopf umkonzeptualisieren, schnell in den richtigen Film gehüpft, ahaha, er bettelt uns an, also: Wir geben ihm some crowns. Er klärt uns über den Umrechnungskurs auf und sagt uns genau, wie viel wir ihm in Dollars gegeben haben.

Good bye. Have a nice trip.

Diese Begegnung ist auf so vielen Ebenen erstaunlich. British English, Golfdress, nach Kronen fragen: Wirft unsere Sozialkategorien durcheinander. Dann fragen wir uns – wieso Dollars? Schon der Bettler am Flughafen von Sharm El Sheik vor zehn Jahren zog verächtlich die Lefzen hoch, als wir ihm Dollars geben wollten – „no Dollars, Euros“!

Äh, ach ja. Das war vor zehn Jahren. Hmpf, Eurokrise. Der Golfmann hat die Zeichen der Zeit erkannt. Sollten wir unsere wenigen Kröten also in Dollars anlegen? Vielleicht ist er ein verdeckt arbeitender Finanzberater. Ein Zeichen des Himmels! Ach Quatsch, wir haben eh nix anzulegen, geben wir’s dem Golfmann, und jetzt wissen wir wenigstens den Umrechnungskurs. In schwedische Kronen.